Forschen im Wohnzimmer
Weltweit stellen mehrere Tausend Hobby-Forscher ihre Computer zur Verfügung, um nach Medikamenten gegen tödliche Krankheiten zu suchen. Möglich ist das durch freie Rechenleistung des PCs.
Wenn der Mann, der sich im Netz nur Hoshione nennt, nach der Arbeit sein Haus in Krefeld betritt, dann fängt er an zu forschen. Etwa, wie sich bestimmte Krebserkrankungen bei Kindern heilen lassen. Oder er macht sich auf die Suche nach bisher unentdeckten Primzahlen. Für all das braucht Hoshione kein Labor, keine Fachbücher, keinen Doktortitel. Ihm reicht ein PC, der in einem Schrank in seiner Wohnung steht – und rechnet, während Hoshione zu Abend isst, Fernsehen schaut oder Besuch bekommt.
Möglich ist das, weil sein Computer mehr Kapazität hat als Hoshione selbst zur Arbeit benötigt. Deswegen lässt er ihn an großen Forschungsprojekten mitrechnen – zusammen mit Tausenden anderen Rechnern auf der ganzen Welt. „Viele wissenschaftliche Projekte benötigen Rechenkraft, die nur große Supercomputer liefern können – oder viele Tausend normale Computer“, sagt der 53-Jährige. Weil sich viele Universitäten und Labore riesige Rechenzentren nicht leisten können, wählen sie den anderen Weg: Sie verteilen die zu berechnende Aufgabe auf viele Heimcomputer. Crowdsourcing oder Distributed Computing, also Verteiltes Rechnen, nennt das die Forschergemeinde.
Vom Schiff an den Computer
Einer, der sich das verteilte Rechnen zunutze macht, ist Martin Korth. Der Chemie-Professor an der Universität Münster organisiert das Projekt QMC@home, bei dem es darum geht, Strukturen von Molekülen zu berechnen und chemische Verbindungen vorherzusagen. Einige Billionen Berechnungen erforderte das. „Und die ließen sich mithilfe der Crowd leichter berechnen als wenn wir sie im Labor einzeln getestet hätten“, sagt Korth. 150.000 Nutzer haben sich von ihren Heimcomputern aus an dem Projekt beteiligt. So brauchte Korth nur fünf Jahre – weniger als erwartet. Jetzt starten die Wissenschaftler eine weitere Untersuchung. „Wir möchten grüne Batteriematerialien für eMobility-Anwendungen entwickeln helfen“, sagt Korth. Dazu muss die Wirksamkeit von möglichen Batterie-Materialien getestet werden, wofür wieder mehrere Millionen Berechnungen nötig sind.
Projekte des Verteilten Rechnens: Die Grafik zeigt die beliebtesten Projekte im Team SETI.Germany
Auch Hoshione wird wieder mitrechnen. Das verteilte Rechnen ist sein Hobby. Eigentlich arbeitet er bei einer Binnenreederei. Hier prüft der 53-Jährige, ob auf den Schiffen die notwendigen Sicherheitskriterien erfüllt werden. „Gar nichts mit IT“, sagt er. „Hoshione“ ist der Spitzname, den er sich in der Welt der Crowdsourcer gegeben hat. So heißt er auch bei seinen Kollegen von SETI.Germany, dem größten deutschen Team fürs verteilte Rechnen. Als Cruncher bezeichnen sie sich, was so viel heißt wie „Zahlenakrobaten“. Die wenigsten der anderen Cruncher kennen Hoshione unter seinem bürgerlichen Namen und deshalb ist ihm auch wichtig, in diesem Text nur mit seinem Spitznamen genannt zu werden.
Der Computer von Hoshione rechnet parallel an etwa zwanzig Projekten. Aktuell arbeitet er beispielsweise für das World Community Grid – eine Software, die von einem amerikanischen IT-Unternehmen betrieben wird und mehrere Projekte des verteilten Rechnens vereint. Es geht zum Beispiel darum, Medikamente zu bestimmen, die Krebserkrankungen im Kindesalter heilbar machen können – für eine japanische Universität.
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